Die zunehmende Besiedelung
des Landes durch den Seeadler, vor allem innerhalb des bekannten Schreiadler-Brutverbreitungsgebietes
in M-V, wird seit nunmehr 15 Jahren näher verfolgt.
Der Seeadler erschließt
als Nahrungsopportunist und großer Beutegreifer in seiner besiedelten (jetzt
auch zunehmend gewässerarmen) Brutregion vorrangig neu entstandene
Nahrungsquellen (z.B. Hühnerfarmen).
Er ist zudem lernfähig und
scheint so sein Beutespektrum auf weitere Großvogelarten merklich erweitern zu
können. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn plötzlich Arten - wie nachweislich
Alt- und Jungvögel vom Weiß- und Schwarzstorch, Kranich - aber auch
Greifvogelarten immer häufiger auf seinem Speiseplan stehen.
Beispielgebend auch der
Nachweis, wie ein ad. Seeadler einen brütenden Schreiadler im rasanten
Sturzflug vom Nest „pflücken“ wollte - wie kürzlich per Videoanalyse 2016 in
Polen zu sehen war. Dieser Schreiadler konnte sich in letzter Sekunde noch
retten. Der Seeadler hatte es also im geschilderten Fall wohl nicht auf das
Gelege abgesehen, wie bei anderen Prädatoren nicht unüblich (insbesondere
Waschbär oder Baummarder).
Inzwischen liegen auch
Indizien vor, dass der Seeadler die Schreiadler-Nestlinge aus den Nestern
greift (plötzliche Jungadler-Verluste einhergehend mit Mauserfederfunden vom
Seeadler unmittelbar am Nest, n=2).
Beobachtete Gegenattacken
von am Nest wachenden Schreiadlern stützen zudem dieses vermeintlich „neue“
Prädations-Muster – als z.B. ad. und imm. Seeadler den wiederholten Versuch
unternahmen, an zwei Brutplätzen in 2016 die Jungadler vom Nest zu schlagen
(persönliche Beobachtungen im Landkreis LRO)!
In einem weiteren in 2016
beobachteten Fall versuchte ein ad. Seeadler einen bereits seit 2,5 Wochen
flüggen jungen Schreiadler im Luftraum über dem Brutplatz zu erbeuten. Der
Jungadler konnte jedoch rechtzeitig im dichten Kronendach abtauchen und sich
retten. Ein Elterntier (Weibchen) vom genannten Jungadler attackierte umgehend
und vehement den ad. Seeadler im Luftraum. An anderer Stelle dasselbe Spiel,
nur griff hier der männliche Schreiadler den Seeadler an (auch dieser wollte
den flüggen Jungadler greifen)!
Nur wenn den Schreiadlern
ausreichend Nahrung (Kleinsäuger, Amphibien) im Brutrevier zur Verfügung steht,
nur dann können die Altvögel ihre Jungen aufmerksam und für längere
Zeitabschnitte bewachen und dementsprechend gegen Beutegreifer - wie z.B.
Seeadler oder Habicht - rechtzeitig und effizient agieren.
Siedelten 2013 bereits 335
Seeadler-Revierpaare in M-V, so peilt der kräftige Adler gegenwärtig die
historische 400er Marke für unser Bundesland an. 2017/ 2018 scheint für das
Erreichen dieser "Schallmauer" durchaus realistisch zu sein.
Aber wie kommt der
Schreiadler innerhalb seiner Brutreviere mit dieser stetig wachsenden
„Brut-Nachbarschaft“ zum Seeadler überhaupt zurecht?
Arrangiert er sich trotz seines
charakteristischen und uns sehr bekannten Abwehrverhaltens gegen den Seeadler?
Zeichnet sich ein erkennbarer Entwicklungstrend in den Revieren ab?
Besonders im letzten 5 Jahres-Zeitraum verzeichneten wir einen deutlichen Anstieg von Seeadler-Bruten innerhalb der kontrollierten Schreiadler-Reviere in M-V.
Bezugsgröße für die nachfolgenden Auswertungen zur (gewünschten) Koexistenz mit dem Seeadler stellte ein 2 km-Ansiedlungs-Sektor um bestehende/ intakte/ aktive Schreiadler-Brutplätze/ Reviere dar.
Die seit nunmehr 15 Jahren
zu beobachtende Einwanderung von Seeadler-Revierpaaren in den Einzugsbereich benachbarter
Schreiadler-Brutplätze in M-V zeigt beispielhaft die Abb.1.
Es handelt sich hierbei um
eine von 9 Seeadler-Neuansiedlungen zwischen 2015-2016 in den oben definierten
Bezugsraum zum Schreiadler.
Das sehr gut im
"Mistelwald" getarnte Nest auf einer Hybrid-Pappel wurde im
Sommer 2015 neu errichtet. Zum Zeitpunkt der Neuansiedlung (noch ohne Brut)
brütete in nur 775 m Entfernung ein Schreiadler mit Erfolg.
Zunehmend besiedeln
Seeadler diverse Solitär-Gehölze (Feldgehölze, Baumreihen, Einzelbäume) in der
offenen Landschaft, da ihre Optimal-Bruthabitate fast vollständig ausgeschöpft
sind. Dieser neue Seeadler-Brutplatz befindet sich unmittelbar an
der Hauptnahrungsquelle des benachbarten Schreiadlers (extensiv
bewirtschaftetes Dauergrünland). Weiterhin ist zu erwähnen - parallel zur
Seeadler-Besetzung nahm in nur 1.700 m Entfernung eine Hühnerfarm ihren
Betrieb auf (eine von vielen).
Das Foto zeigt die
erfolgreiche Seeadler-Brut aus 2016 (Jungadler bereits geschlüpft) -
nachfolgend flogen 2 Jungadler aus (Beutereste von Hühnern unter dem Nest
müssen zudem nicht weiter kommentiert werden...). Allerdings (glücklicherweise)
nutzten die Seeadler hier zusätzlich Fischnahrung aus einem in 4,5 km
Entfernung befindlichen See. Die Jungen schöpften also aus dem Vollen. Der betroffene
Schreiadler errichtete 2016 diesmal in 820 m Entfernung zum Seeadler ein neues
Nest, die Brut verlief jedoch negativ. Wie sich die "Koexistenz vor
Ort" zukünftig entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Die Seeadler bauen
ungeachtet dessen wieder eifrig am abgebildeten Pappel-Nest.
Insgesamt flossen zwischen 2001 bis 2016 Informationen von über 55 Schreiadler-Nistplätzen aus 30 bekannten Brutrevieren in die Analyse ein. Dem gegenüber standen 27 Seeadler-Nistplätze aus 23 bekannten Brutrevieren mit intimen Bezug zum Schreiadler.
Zur Auswertung kamen für
beide Adlerarten nur parallel besetzte Plätze mit klarem Nestbezug.
Von den 55 belegten
Schreiadler-Plätzen wurde ein Mittelwert von 1.047 m zu benachbarten
Seeadler-Plätzen innerhalb des o.g. 2.000 m Untersuchungsraumes
ermittelt. Besonders fielen die 14 Nachweise (25,5 %) in der
Kategorie 500 - 800 m (Nestentfernung) zum Seeadler auf.
Auf
dieser Diagramm-Ebene (Diagramm II) wurde noch nicht verifiziert, ob die
jeweilige Brut positiv verlaufen ist.
Das Diagramm zeigt die Aufschlüsselung der 55 geprüften Nistplätze mit den entsprechenden Distanzen zum jeweiligen Seeadler-Brutplatz.
Bemerkenswert ist die
Ansiedlung eines Seeadlers in nur 155 m zu einem besetzten Schreiadler-Nest.
2007 war das Seeadler-Paar bereits anwesend (brütete aber noch nicht), in nur
155 m brütet 2007 der Schreiadler dafür erfolgreich! Nachfolgend zog der
Schreiadler erst im Jahr 2010 um (entfernte sich jetzt 360 m vom Seeadler). Im
Jahr 2014 brüteten schließlich Schrei- und Seeadler jeweils erfolgreich in nur
360 m Entfernung friedlicher Koexistenz.
Zuvor waren die Erfolge
wechselseitig (mal See- mal Schreiadler). In einem dritten Schritt zog
schließlich der Schreiadler, obwohl er noch im Vorjahr (2014) erfolgreich
gebrütet hatte, mit einem große Satz vom Seeadler weg. 2015 brütete der
Schreiadler in 1.600 m Entfernung zum Seeadler (beide Adlerarten mir
Bruterfolg). 2016 rückte der Schreiadler wieder etwas näher in 1.500 m zum
Seeadler (ebenfalls beide Adlerarten mit Bruterfolg).
Von zusammen 107 Schreiadler-Bruten (verteilt auf 55 Nistplätze in 30 Brutrevieren) ließen sich zwischen 2001-2016 die exakten Reproduktionsergebnisse im Seeadler-Sektor ermitteln.
- 65 Bruten vom Schreiadler verliefen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Seeadler erfolgreich (61 %) - vor allem der signifikant erhöhte Erfolgswert im 500 - 800 m Sektor an 5 Schreiadler-Brutplätzen mit 21 erfolgreichen Bruten ist besonders bemerkenswert.
- Für drei Schreiadler-Reviere lassen sich Zusammenhänge für deren Revieraufgabe und nachstehenden Umzüge ≥ 3.000 m aufgrund einer Seeadler-Neuansiedlung im selben Jahr bzw. Folgejahr ableiten. Der Mittelwert bzgl. der Seeadler-Ansiedlung und Auslöser der Revieraufgabe/ Verlagerung lag bei 293 m (170 - 490 m).
- Ein Schreiadler-Revier wurde, nachdem der ansässige Seeadler den Brutplatz (großräumig) verlassen hat, wieder "reanimiert" und bezogen (wichtig: sämtliche inzwischen verwaiste Schreiadler-Traditionsreviere, wo zeitweise auch der Seeadler gebrütet hat, sind immer wiederkehrend zu kontrollieren - Voraussetzung ist, dass die essentiellen Habitatelemente nicht gravierend gelitten haben).
- An vier Brutplätzen entfernten sich die Schreiadler nach dem Eintreffen des Seeadlers:
- a) von 935 auf 1.200 m (+ 265 m)
- b) von 900 auf 1.500 m (+ 600 m)
- c) von 360 auf 1.445 m (+ 1.085 m)
- d) von 370 auf 645 m (+ 275 m)
- An zwei Brutplätzen hat sich der Schreiadler dem Seeadler angenähert:
- a) von 985 auf 650 m (- 335 m)
- b) von 800 auf 400 m (- 400 m):
- Hier nutzte der Schreiadler zwischen 2003 bis 2016 insgesamt 6 verschiedene Nistbäume und näherte sich von anfangs 800 auf bemerkenswerte 400 m zum Seeadler (dieser blieb dem Brutplatz stets treu). Im Verlauf dieser 14 Jahre zeigte der Seeadler 10 x Bruterfolg und der Schreiadler sogar 11 x Bruterfolg (davon 2010 bis 2016 durchgängig mit Erfolg!). Ein sehr interessantes Beispiel, wie beide Arten sehr erfolgreich und dicht nebeneinander reproduzieren können.
Wichtige Anmerkung zu
b): Aufgrund des bemerkenswerten
Bruterfolges geht der aufmerksame Betrachter zunächst von einer ansehnlichen
Ausstattung und Qualität verschiedenartiger Nahrungshabitaten für dieses
Schreiadler-Vorkommen aus. Aber ausgerechnet hier griff der Mensch, auf dem
ersten Blick nicht gleich zu erkennen, manipulativ ein. Ein ausgewähltes Terrain
nur unweit zum Schreiadler-Brutwald wurde regelmäßig mit diversen Nahrungstieren
künstlich bestückt. Das Bühnenbild für diese „Lock-Fütterungen“ vervollständigt
ein regelmäßig frequentiertes Fotoversteck.
Sicher, dem Schreiadler wurde
saisonal unter die Federn gegriffen, dennoch vermitteln uns die genannten Umstände
ein deutlich verzerrtes Bild zur Gesamtsituation. So fehlen für das aufgeführte
Beispiel die schlüssigen Belege für einen ursprünglichen Koexistenz-Verlauf, wenigstens
für die letzten 10 Jahre. Zudem lassen sich erhofften Zusammenhänge und
Folgerungen bzgl. der Präsenz und dem Zustand von Dauergrünland, Feuchtarealen
& Co. für das Schreiadler-Revier nicht glaubhaft ableiten.
Eins signalisieren jedoch die
permanenten Schreiadler-Besuche am Versteck, die natürlichen Nahrungsressourcen
weisen deutliche Defizite vor Ort auf. Für die ortsansässigen Schreiadler-Schützer
allemal ein wichtiger Ansatzpunkt.
- Zusätzliche Fallbeispiele für interessante Abstände:
- a) ein Schreiadler-Nest befindet sich nur 345 m vom Seeadler entfernt. Dieser Schreiadler brütet auf seinem Nest seit 2014-2016 erfolgreich. Der Seeadler siedelte sich 2015 neu an (s.o. 345 m!) und zeigte 2015 und 2016 ebenso Bruterfolg! Beide Adlerarten brüten somit seit zwei Jahren in Folge extrem dicht nebeneinander erfolgreich!
- Weitere erfolgreiche Bruten mit Abständen ≤ 300 m zum Seeadler:
- b) 1 x 155 m
- c) und d) 2 x 180 m
Fazit: Die umfassenden Analysen
belegen verständlich, dass die Schreiadler gegenwärtig in der Lage sind mit dem
Seeadler als einen potentiellen Beutegreifer eine "friedliche
Koexistenz" im 2 km Umfeld zu realisieren.
Brut-Abstände von ≥ 1.000
m zum Seeadler werden nach den jüngsten Auswertungen vom Schreiadler in M-V
regelmäßig toleriert. Nicht selten wurde hierbei die 1.000 m Marke
unterschritten und in Ausnahmefällen lagen die Abstände mittels erfolgreich
verlaufender Bruten sogar unterhalb von 500 m.
Ungeachtet dessen muss
eine seit 2015 einsetzende "Seeadler-Welle" auf die
Schreiadler-Reviere besonders aufmerksam verfolgt werden. Rasche Veränderungen im
vermeintlich guten Zusammenspiel beider Arten sind daher nicht gänzlich
auszuschließen.
Ferner sind längere
Verhaltensstudien und entsprechende Notizen/ Belege über die Koexistenz
zwischen beiden Arten von den Revier-Betreuern sehr erwünscht. Insbesondere bei
den Verlustursachen innerhalb der Schreiadler-Brutplätze sollte
dem Seeadler zukünftig noch mehr Beachtung geschenkt werden.
Notierte
Schreiadler-Revieraufgaben durch sogenannte "Seeadler-Spielburgen" -
hier handelte es sich um größere Seeadler-Ansammlungen (also um keine
Brutplatz-Gründungen) am Rande von Hühnerfarmen, wo bislang der Schreiadler
gebrütet hatte (siehe u.a. den Beitrag zum Schreiadler-Monitoring) - fanden bei
dieser Analyse jedoch keine Berücksichtig (bis dato fielen nachweislich drei
traditionelle Schreiadler-Brutplätze den übermächtigen Seeadler-Sammelplätzen
am Rande von Hühnerfarmen zum Opfer). Auf dieser Ebene scheint sich momentan
eine weitaus größere Gefährdung für die Erhaltung und Entwicklung der
essentiellen Schreiadler-Lebensräume zu entwickeln.