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Zur aktuellen Situation des Schwarzstorchs im Fichtelgebirge (Oberfranken)

Brutmännchen "Torres" bewacht seinen Nachwuchs an einem traditionellen Brutplatz im Zentrum des Fichtelgebirges. Der Bursche wurde...

Thursday, October 24, 2019

Von "Logger- und Tobel-Störchen".....

Was für ein phänomenaler Schwarzstorch-Neststandort im Allgäu - das Nest befindet sich auf einer sehr alten Moor-Spirke am Rande eines Hochmoors, vermutlich der einzige Brut-Standort dieser Art in Deutschland. Das Nest steht knapp 9 m über dem Moorboden, zudem sollte man die Bauweise an diesem "Bogenlampen-Ast" bewundern..... Diese vier abgebildeten Jungen erhielten 2018 einen GPS-Datenlogger. Zwei von dieser 4er-Gang ("Arco 2" und "Arco 4"), inzwischen im 2. Kalenderjahr und inzwischen wieder auf dem Weg ins Winterquartier, senden noch. Insbesondere "Arco 4", auf dem Bild zentral aufgerichtet, sorgt im folgenden Beitrag sicher noch für Gesprächsstoff....
Seit 2017 erhalten nestjunge Schwarzstörche (BS) in Deutschland an ausgewählten Brutplätzen einen am ELSA-Ring zusätzlich integrierten 19 Gramm leichten GPS-Datenlogger am Tibia. Das Markierungsprojekt wird kontinuierlich über das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell gesteuert (Herstellung und Finanzierung der Logger, inkl. Daten-Transfer, -Pflege und -Auswertungen in der Movebank).

Im Fichtelgebirge (Oberfranken) wurden 2017 daraufhin die ersten vier Jungstörche einer erfolgreichen Brut mit den erwähnten GPS-Datenloggern ausgestattet. 

Die erste 4er-Logger-Bande aus dem Fichtelgebirge 2017. "Lamib" (TL22) und "Lamic" (TL23), beide im Nest-Zentrum zu sehen, liefern als K3-Vögel nunmehr auf dem 2. Wegzug regelmäßig ihre GPS-Daten (Landkreis Wunsiedel, 19.06.17).
Von den vier oben abgebildeten BS leben, so der jetzige Stand, gegenwärtig noch zwei Jungvögel (Verlustrate = 50% bereits als K1-Vögel). 
Beide BS befinden sich momentan im 3. Kalenderjahr (K3) und brüteten 2019 noch nicht - es existieren (wenige) Brutnachweise von K3-Vögeln. Im kommenden Frühjahr (2020) sollten sie mit ihrer definitiv erlangten Fertilität erstmalig als Brutvögel agieren können.


Übersichtskarte mit den Standorten der letzten Ortungen beider seit August 2017 von der Bildfläche verschwundenen Jungstörchen "Lamia" & "Lamid" sowie ihrer deutlich gesplitteten Routenwahl.
Die interessanten Zugwege von "Lamib" mit den Übersommerungs- und Überwinterungs-Arealen 2017 bis 2019.
Die Zugrouten von "Lamic" 2017 bis 2019 mit zwei äußerst bemerkenswerten Mittelmeer- und Sahara-Querungen.
In der Brutsaison 2018 folgten dann bereits 15 Jungstörche mit dem Logger-Modell, diese verteilt an vier Brutplätzen in drei Bundesländern angelegt (2x MV, 1x BB, 1x BY).
Beispiel für die Raumnutzung des Jungstorches "Bohli 1" als Westzieher aus Mecklenburg-Vorpommern vom 01.11.18 bis 07.04.19 im Überwinterungsgebiet Westafrikas (Senegal/ Gambia). Inzwischen erreichte "Bohli 1" am 03.10.19 erneut das Überwinterungsgebiet aus dem Vorjahr bei Kaolack im Senegal.
Beispiel für einen typischen Ostzieher aus dem Allgäu (Bayern) mit einem Überwinterungsplatz nebst Raumnutzung in Ostafrika südlich des "Tanasees" in Äthiopien. "Arco 4" meisterte über 5.600 km und erreichte am 27.10.18 seinen Winterplatz.
2019 nutzte er erneut die Ostroute, verweilt aber seit drei Wochen unverändert in Israel. Mal schauen, ob "Arco 4" dort sogar einen Überwinterungsversuch startet.
"Arco 4" hält sich seit dem 03.10.19 bereits seit drei Wochen (Stand 24.10.19) in Israel südlich Haifa an diversen Fischteichen auf.
Sommer-Revier von "Arco 4" im 2. Kalenderjahr von Mai bis September 2019 in SE-Europa.
Getrennte Geschwister-Routenwahl der Allgäuer Störche vom Moor-Spirken-Nest 2018:
"Arco 2" schlug für den Wegzug die Westroute ein. Überwinterte 2018/19 daraufhin in Burkina Faso, um anschließend im Sommer 2019 als Storch im 2. Kalenderjahr plötzlich in Thüringen aufzutauchen. Am 26.09.19 erreichte "Arco 2" abermals per Westroute bereits die Grenze zwischen Mauretanien und Mali, um sich in Richtung Überwinterungsgebiet zu bewegen.
Der konkrete Sommer-Lebensraum von "Arco 2" als K2-Storch von Juli-September 2019 in Thüringen.
Nur kurz sollte auf die gegenwärtig in Deutschland zum Einsatz kommenden GPS-Logger-Typen und deren Befestigungsmethodik beim Schwarzstorch eingegangen werden.

1. Die Achtung des Schwarzstorch-Intimlebens mithilfe eines sensiblen und angemessenen Verhaltens während der Beringung am Nest (Verhaltenscodex): 

Die oben erwähnten Schwarzstorch-Logger wurden grundsätzlich parallel zur Beringung unmittelbar im Nest angelegt. Der ganze Spuk unterhalb des Kronendachs dauerte bei einer 4er-Brut nicht länger als 20 Minuten (inkl. Aufstieg und Abseiltechnik). Die Jungen werden bei dieser Aktion stets mit einer Decke beruhigt und halten gemeinsam ohne Unterbrechung einen körpernahen Kontakt im Nest in vertrauter Umgebung (sehr wichtig!). Zudem ist eine elementare Frage im Vorfeld zu klären: ob die Jungen wirklich das richtige Alter für diesen "Eingriff" besitzen? Die Jungstörche sollten demnach ein bestimmtes Mindestalter vorweisen, dürfen aber auch nicht zu alt sein. Ebenso ist gleich zu Beginn der Aktion das Jungvogel-Verhalten in Abhängigkeit zur Erreichbarkeit der Jungen im Nest vorsorglich zu studieren. Abbrüche sind daher jederzeit denkbar und sollten selbstkritisch in Erwägung gezogen werden.

Unterdessen werden seit 2018 in Hessen junge Schwarzstörche selektiv mit einem Daten-Logger bestückt. Auslöser für das "Beloggern" der Störche sind vorrangig laufende Windkraft-Projekte. 2018 und 2019 kam dabei jeweils an einem Nest die Seiltechnik zur Anwendung. Im belaubten Zustand führt diese Methodik jedoch wiederholt zu riskanten  Aktionen im Kronendach.
Nur soviel - die Störche wurden in beiden Jahren einzeln vom Nest abgelassen und für längere Zeit am Erdboden "bearbeitet". Die ganze Prozedur dauerte dann nicht nur 20 Minuten - sondern beansprucht grundsätzlich über 90 Minuten..... Zudem standen in diesem Jahr die ausgewählten Jungstörche bereits ausgewachsen am Nestrand. Unbeirrt starteten die Akteure den Versuch, am Ende bis auf das Nesthäkchen erfolglos, an die erregten Jungstörche zu gelangen..... 

2. Die Größe/ Form und das Gewicht eines Loggers:
Das geringe Gewicht (integriert im ELSA-Ring) und eine daraufhin akzeptablen Größe des Loggers verhalfen im Verlauf konkreter Abstimmungen mit dem Max-Planck-Institut zum entscheidenden Kompromiss bei der Umsetzung des Projektes. Die Logger-Technik befinden sich, zumindest was die Akku- und Empfangsleistung betrifft, phasenweise noch im Entwicklungsmodus. Die Logger werden mit einer für den Storch vertretbaren Größe sicher in den nächsten Jahren noch effizienter arbeiten. Über die technischen Abstriche bezüglich einer eingeschränkten Datenübertragung waren wir uns beim Einsatz der "Fichtel-Logger" stets bewusst.

Nicht nur die Methode/ Umstände zum Anlegen eines Loggers an Jungstörchen sollte kritisch hinterfragt werden. Selbst wenn die Leistungsfähigkeit des abgebildeten "Hessen-Loggers" im Vergleich zum hier verwendeten "Fichtel-Logger" merklich höher liegen wird, sollte im Vorfeld gemeinsam über die Form und das Gewicht eines Fremdkörpers am Tibia eines Schwarzstorchs beratschlagt werden. 


Übersicht zur aktuellen Situation des Zug- und Überwinterungsverhaltens aktiver GPS-Datenlogger-Schwarzstörche aus Deutschland. Stand: 26.10.19.
Annähernd 80 Prozent unserer Logger-Schwarzstörche von 2017-2019 (n=70) schlugen die bekannte Westroute mit Kurs auf Gibraltar ein. Das Gros querte dann auch Gibraltar, um folglich einen Überwinterungsversuch in Westafrika einzuleiten.
Ursprünglich lag die Gesamtzahl bei 72 Logger-Störchen. Jedoch senden von den 53 in 2019 angelegten GPS-Loggern seit Beginn nur 51. Diese beiden Störche sind dennoch, ohne die erhofften GPS-Daten zu übertragen, erfolgreich ausgeflogen.

Das ermittelte Hauptüberwinterungsgebiet deutscher Schwarzstörche im Senegal ist in der Tat sehr beeindruckend.
Nur 14 Prozent der deutschen Schwarzstörche nutzten von 2017-2019 die östliche Passage, um nachfolgend im östlichen Afrika einen Überwinterungsplatz zu erküren.
Beispiel für ein sehr gut dokumentiertes Jungstorch-Dispersal nach dem Ausfliegen im Spätsommer 2019. Nestjung beringt im "Hessenreuther Wald" (Oberpfalz, Tirschenreuth), tauchte "Abbi 1" eher unerwartet ab Anfang September für einen ganzen Monat in den Niederlanden nordwestlich Eindhoven auf. 
Wie diese vier Jungen im "Steinwald" (Oberpfalz) - so erhielten 2019 im Bundesland Bayern insgesamt 46 Junge an 16 unterschiedlichen Brutstandorten einen GPS-Logger am Tibia angelegt. "Steinwald" 07.06.19.
Eine Woche später der Blick von oben ins Nest nach der Beringung. Von den vier munteren Kobolden gibt nur noch "Steini 2" (T892, in der Bildmitte) ein Lebens(Signal)zeichen aus dem Senegal.
Situation zur aktuellen Lage der vier oben genannten "Steinwald-Störche". Vorbehaltlich  einer Variante technischer Mängel an einem der GPS-Logger - ist eher vom Ableben bei drei von den vier Jungstörchen während des Wegzuges auszugehen. Ein typisches Beispiel für eine sehr hohe Mortalitätsrate im ersten Lebensjahr der Störche. Über die möglichen Verlustursachen liegen bisher keine Erkenntnisse vor....
Ein weiteres Beispiel zeigt die gegenwärtige Lage von vier Jungstörchen einer Brut aus dem Oberallgäu 2019. Ein Jungstorch davon ist bereits Anfang August an einer Freileitung in Rheinland-Pfalz tödlich verunglückt. Ein zweiter Jungvogel sendet ebenfalls seit Anfang August nicht mehr - die letzte Ortung befand sich im nordwestlichen Frankreich bei La Mesvellerie, exakt dort verläuft auch eine gefährliche Stromtrasse....Die beiden verbliebenen "Randalos" sind noch aktiv unterwegs. Einer von ihnen verweilt schon eine längere Zeit südlich Marrakesch (Marokko) - während sein Geschwister bereits am traditionellen Überwinterungsplatz bei Kaolack im Senegal eingetroffen ist.
Drei Glückspilze, die, so der Stand im Oktober 2019, möglicherweise alle noch aktiv agieren. Der Brutplatz befand sich in Mecklenburg-Vorpommern auf einer Kiefer. Nachdem "Meier 3" am Promi-Platz bei Kaolack im Senegal als West-Zieher inzwischen eingetroffen ist, versuchen es die beiden anderen Kameraden über die Ostroute. "Meier 2" ist nach seinem Stop in Israel bis zum 18.10.19 nunmehr am 26.10.19 im Norden Äthiopiens angekommen. Hingegen führte "Meier 1" bereits am 08.10.19 im Sudan einen Boxen-Stop durch - Zeit für eine neue Ortung....
"Fichtel 4" - beringt 2018 im Fichtelgebirge, beginnt am 16.07.18 mit dem aktiven Wegzug, handelte nachfolgend als einer der wenigen Ost-Zieher, querte Israel am 26.09.18, um schließlich am 08.12.18 die Zentralafrikanische Republik als Winterquartier zu erreichen. Nach dem 21.03.19 verschwindet "Fichtel 4" dort von der Bildfläche....
Zwei von sieben Logger-Störchen in 2019 aus Mecklenburg-Vorpommern in äußerst entspannter und synchroner Yoga-Haltung.... Diese beiden Jungstörche, geboren in der Mecklenburgischen Seenplatte, erreichten als West-Zieher inzwischen ihre leicht differenziert gelagerten Überwinterungsgebiete im Senegal. Müritz-Region, 11.07.19.
Abzugsverhalten und Überwinterungsgebiet der beiden "Ritter-Störche". Müritz-Region, 11.07.19

Wichtige Bemerkung:  Das Kopieren und die Nutzung sämtlicher Fotos, erstellter Karten und diverser Auswertungen ist aufgrund von urheberrechtlichen Schutzgründen nicht gestattet !

Als das absolute Highlight in dieser Brutsaison ist zweifelsfrei der Fund einer alles in den Schatten stellenden Schwarzstorch-Bodenbrut im Oberallgäu zu taufen: 







Was für ein Anblick - die drei "Tobel-Kobolde" verließen später erfolgreich und voll flugfähig diesen heiligen Urwald-Brutstandort. Oberallgäu, 10.06.2019.
Mein langjähriger Schwarzstorch-Freund und treuer Begleiter aus dem Unterallgäu, Harald Farkaschovsky, fand mit viel Fleiß und Umsicht diesen in jeder Hinsicht heilig anmutenden Brutplatz. 


Am Fuße dieser Bach-Aue, hier mit dem wunderschönen Blühaspekt eines ausgelegten Wiesen-Bocksbart-Teppichs, brüteten die "Tobel-Störche". Oberallgäu, 10.06.19.
Besonders erfreulich, die Brut am Stammfuß einer Fichte und inmitten eines naturnahen Schluchtwaldes nebst Bach-Kerbtals, einem sogenannten Tobel, verlief erfolgreich. 
Es handelte sich zugleich um die erste dokumentierte Bodenbrut für Deutschland. 
Harald wird über seine "Tobel-Störche" gesondert berichten und mit seinen brillanten Fotos das "Tobel-Storchenland" per Publikation näher vorstellen.

Dennoch lassen erste Impressionen vom Brutplatz diese besondere und zauberhafte Atmosphäre zweifelsfrei erahnen.....
Um den Brutplatz vollständig zu schützen, verzichteten wir natürlich auf eine Beringung der drei "Enzo Ferrari-Störche", um insbesondere für die ortsansässigen Raubsäuger keine klassische Leitspur mit einem Hinweisschild zu legen.....
Außerdem herrscht im Tobel diese außergewöhnliche Stimmung, die man unter keinen Umständen angreifen darf - ein Heiligtum der besonderen Art - diese "Tobel-Störche"!

Ein Altstorch schiebt Wache bei den putzmunteren Burli's - Oberallgäu, 11.06.19.
Gierig warten die Jungen auf das Ausspeien der wuchtigen Bachforellen - Oberallgäu, 11.06.19.
Wie leicht begossene Pudel präsentierten sich nach dem Regen die Kerle - das Licht war dafür umso magischer. Oberallgäu, 10.06.19. 

Monday, October 21, 2019

The "Spotted-Season" 2019



Diese junge Schreiadlerdame namens "Polly" zeigte mit ihrer grandiosen "Kaiseradler-Zeichnung" eine der bisher bemerkenswertesten Jungadler-Färbungsvarianten beim Schreiadler seit über 30 Untersuchungsjahren. Aber nicht nur diese geniale Tüpfelung ihres Gefieders waren bemerkenswert - sie flog erst am 01.09.19 aus, nachweislich die bisher späteste Brut in MV. Landkreis Rostock, 30.08. &11.09.19.
"Polly" in Erwartung einer Fütterung - LRO, 18.09.19.

Schreiadler-Weibchen "Grit" - inzwischen im 10. Kalenderjahr - während der Kleinsäuger-Jagd in einem Brutrevier des Landkreises Vorpommern-Rügen, 21.09.2019.
Vor genau fünf Jahren - in der Brutsaison 2014 - ließen sich letztmalig in MV erfolgreich verlaufende 2er-Bruten des Schreiadlers (LSE) feststellen. Dies abseits anthropogen eingeleiteter Methoden, wie das beispielhaft zu erwähnende medien- und kostenlastige Schreiadler-Jungvogelmanagement in Brandenburg und Sachsen-Anhalt ("Hacking-Methode").  In beiden Bundesländern werden während der äußerst sensiblen Schlupfphase die besetzten Nester bestiegen, um das 2. Ei bzw. den inzwischen geschlüpften Abel für ihr Management zu entnehmen. Sie berauben sich dabei jedoch auch Jahr für Jahr der Chance, den natürlichen und faszinierenden Ablauf einer erfolgreichen 2er-Brut zu dokumentieren.  

Drei LSE-Brutplätze profitierten seinerzeit  in M-V mit jeweils zwei erfolgreich ausgeflogenen Jungadlern von einer charakteristischen Kleinsäuger-Gradation 2014 vor Ort. 
Heuer, fünf Jahre danach, entwickelte sich im Verlauf der Brutsaison 2019 erneut eine solch bemerkenswerte Gradation wichtiger Nahrungstiere. Wenn auch für MV nicht flächendeckend dokumentiert, so entwickelten sich nachweislich im Verlauf der Brutsaison auf einer seit drei Jahrzehnten näher kontrollierten Verbreitungsfläche überdurchschnittlich hohe Kleinsäugerdichten. 

Das Foto zeigt eine von zwei erfolgreich verlaufenden 2er-Bruten des Schreiadlers 2019 in MV (rechts männlicher Jungadler, links das 4-5 Tage später geschlüpfte Weibchen - Beringung 15.07.2019, Landkreis VR). Ausschlaggebend für eine dieser äußerst selten auftretenden 2er-Bruten sind, neben einem umfänglichen Nahrungsangebot (Beutedepot im Nest, vor allem während der kritischen Phase des Zweitgeschlüpften in den ersten beiden Nestlingswochen), dass der zweitgeschlüpfte Jungvogel ein Weibchen und der Erstgeschlüpfte hingegen ein Männchen ist. Da sich die Weibchen im Vergleich zum männlichen Part bereits als Nestlinge in der Entwicklungsphase häufig kräftiger und größer repräsentieren, können sie den durch einen zeitlich versetzten (asynchronen) Schlupftermin hervorgerufenen Altersunterschied im Nestlingsverlauf besser kompensieren. Die Überlebenschancen eines weiblichen Abels im Nest liegen bedeutend höher.

Auf diesem Foto vom 01.08.19 zeigten sich beide Jungadler komplett befiedert auf dem Nest. Das Männchen (rechts) war bereits seit drei Tagen als Ästling aktiv und unternahm inzwischen erste Flugversuche im Bereich der Birke. Das Weibchen (links) agierte am 02.08.19 erstmalig als Ästling. Beide Jungadler flogen im weiteren Verlauf erfolgreich aus.

Beide Jungadler in Erwartung des mit einer Feldmaus im Anflug befindlichen Brutweibchens. Die Jungadler werden kurz vor dem Ausfliegen mit Nahrung bewusst von den Altvögeln sparsamer im Nest versorgt, um so ihre beginnenden Aktivitäten im Ästlingsstadium zu forcieren, bzw. anschließend während ihrer ersten Flugübungen sie bewusst aus dem Nest zu locken. Ab Mitte Juni 2019 stiegen die Wühlmaus-Bestände in den kontrollierten Revieren signifikant an. Ab Anfang Juli, exakt der Zeitpunkt, wenn der Nahrungsbedarf für die Jungadler im Nest noch einmal deutlich ansteigt, gab es mittlerweile auf den Grünland- und Ackerstandorten in den untersuchten Revieren vor allem die Feldmäuse im Überfluss. 

Trotz ausbleibender Amphibien im Frühjahr fing Dank einer im Mai eingeleitenden Wühlmaus-Gradation das Gros der Schreiadler etwas verzögert mit einer Brut an. Männlicher Schreiadler beim Beutetransport (Feldmaus) im Landkreis VG, 23.08.2019.
Glück im Unglück, denn die für den LSE besonders bei ihrer Frühjahrsankunft so kennzeichnenden Amphibien-Vorkommen sind als Nahrungsgarant reihenweise an den Brutplätzen ausgeblieben. Die anhaltende Trockenheit hinterließ bei sehr vielen Amphibiengewässern auch innerhalb der bekannten Schreiadler-Reviere im Frühjahr ein teils hydrologisches Chaos. Wie ein roter Faden durchziehen unbeirrt dieses Dilemma eine kontinuierliche Umsetzung von Entwässerungsmaßnahmen letzter potentieller Temporär-Feuchtbereiche, hier primär in agrarisch intensiv erschlossenen Offenlandarealen. Aber auch ein wiederholt unkontrollierter und unverhältnismäßiger Pestizid-Einsatz sowie der folgenschwere Rückgang weiterer essentieller Schreiadler-Dauergrünlandflächen sind zu nennen. Und nicht zu vergessen - das Fehlen eines ausreichend angelegten (flächendeckenden) Gewässer-Schutzpuffers für Stand- und Fließgewässer vor allem im Offenland, von denen vor allem bedrohte Amphibienarten sichtbar profitieren würden.
Eine erfolgreiche Ansiedlung, kontinuierliche Besetzung und Reproduktion des Schreiadlers hängt grundsätzlich vom Qualitätssiegel seiner eingegliederten Nahrungshabitate ab. Erst dann greift das Auswahlkriterium für ein annehmbares Bruthabitat mit seiner unerlässlichen jagd- und forstwirtschaftlichen Tabu-Periode von April bis September!
Besonders die Amphibienarten (vorrangig Moor- und Grasfrosch) kompensieren beim Schreiadler in MV kurz vor der Eiablage Ende April/ Anfang Mai nicht selten die bis dahin eher noch kleinen und sich im Aufbau befindlichen Kleinsäuger-Populationen.
Bleiben aber diese wichtigen Amphibien-Vorkommen aus und Kleinsäuger treten zeitgleich im Frühjahr nur punktuell auf, zögern die Weibchen aufgrund fehlender Brut-Fettreserven (schlechte Brutkonditionen) die Eiablage hinaus. Nicht selten fällt unter dieser Konstellation eine Brut vollständig aus - bzw. das Paar beginnt ein bis zwei Wochen verspätet mit der Eiablage. Aber maßgeblich nur dann, wenn sich in der Zwischenzeit abzeichnet, dass sich die Nahrungssituation im Revier gewiss verbessern wird.

Das Jahr 2019 deckte im Verlauf der Brutsaison mithilfe von annähernd 1.600 Ansitz- und Kontrollstunden erneut beachtliche Studienergebnisse auf, die erstrangig interessante Erkenntnisse über das Verhalten dieser faszinierenden Adlerart lieferte. Dazu zählten eine extreme Spätbrut, zwei erfolgreiche Bruten mit zwei ausgeflogenen Jungadlern sowie die abermalige Registrierung charakteristischer Revier-Neugründungen, einhergehend mit einem Nestneubau des Weibchens als Initiator im Juli/ August (in Vorbereitung auf die kommende Brutsaison). Aber auch Untersuchungen zur LSE-Warnruf-Variabilität und einhergehend seiner hohen und bisher nicht berücksichtigten Verwechslungsgefahr mit dem Wespenbussard flossen ein.


Übersicht zum Brutgeschehen des gesamten Kontroll-/ Betreuungsbereichs 2019.

Des Weiteren erfolgte während der Jungadler-Beringungen, hier in Form einer Testphase, die Befestigung eines 19 g GPS-Daten-Loggers am Tarsus von sieben ausgewählten Jungvögeln. Diese kleinen GPS-Logger sind in einem ELSA-Ring integriert und werden gegenwärtig baugleich beim Schwarzstorch verwendet. Die Logger-Herstellung, die Datenpflege, -auswertung sowie die Gesamtkosten laufen über ein separates Großvogel-Projekt des Max-Planck-Institutes für Verhaltensbiologie in Radolfzell und werden von diesem entsprechend getragen und gesteuert.



Die drei Aufnahmen zeigen "Laura" einen mit einem GPS-Daten-Logger am Tarsus bestückten Jungadler aus MV. Von den insgesamt sieben Logger-Adlern senden bisher vier Jungvögel vom afrikanischen Kontinent. Die nächsten 4 Wochen (Stand: 19. Oktober 2019) werden sicher zeigen, ob die seit Mitte September vermissten drei Jungadler ihre Wegzug-Strapazen, insbesondere über den Nahen Osten, gemeistert haben. Bedingt durch den sehr kleinen Akku (inkl. Solarpanel), der Lage des Loggers am Vogel und in Abhängigkeit der Netzverfügbarkeit geben die vier Adler täglich oder erst nach zwei Tagen jeweils 1-2 GPS-Ortungen ab. Diese Jungadler wurden vor dem Wegzug ausgiebig beobachtet, um das Verhalten mit diesem Fremdkörper noch näher zu untersuchen. Beeinträchtigungen während des Fluges, bei Flugmanövern, bei der Jagd, im Waldbereich sowie am Boden ließen sich nicht nachweisen. Auch eine Bearbeitung des Loggers mit dem Schnabel wurde während vieler Beobachtungsstunden nicht festgestellt.

Ortungen (Stand: 19.10.19) von vier in MV mit einem kleinen 19 g-GPS-Daten-Logger ausgestatteten Jungadlern.

Stand: 26.10.19

Die Grafik zeigt die Situation einer LSE-Teilpopulation im Landkreis Rostock seit nunmehr 30 Untersuchungsjahren. Weitere Reviere werden seit 25 Jahren betreut und kontrolliert, so dass die Gesamtzahl der betreuten Paare bei gegenwärtig 33 liegt - annähernd einem Viertel der deutschen LSE-Population.
Ab der zweiten Maiwoche verbesserte sich durch eine allmählich abzeichnende Wühlmaus-Gradadtion die Nahrungssituation in den Revieren schlagartig. Sie gab für die Paare im Untersuchungsgebiet den entscheidenden Impuls, um mit einer Brut, zeitlich leicht verzögert, noch zu beginnen.

Collage über den bis dato spätesten LSE-Brutbeginn in MV mithilfe einer umfassenden Dokumentation am Brutplatz im Landkreis Rostock 2019. Jungadler "Polly" wurde erst am 01. September voll flugfähig und demnach flügge - dies zu einem Zeitpunkt, wo die Jungadler der anderen Plätze inzwischen seit drei oder vier Wochen ihre Flugmuskulatur trainierten durften. Die Ursache für diesen sehr späten Brutstart ist sicher zu einem Großteil dem unentschlossenen Verhalten des neuen Brutweibchens "Polline" geschuldet. Es ersetzte Ende April das nicht mehr eintreffende altbekannte Brutweibchen. "Polline" ist noch ein sehr junges Weibchen. Die Gefiederzeichnungen belegten, dass sich dieses Weibchen erst im K5/6 befindet. Nur in Ausnahmefällen beginnen Weibchen bereits im K5/6 mit einer Brut und noch seltener verlaufen diese im K5/6 dann erfolgreich. Das Paar, welches im Vorjahr noch mit dem alten Weibchen Bruterfolg zeigte, wählte für 2019 einen neuen Brutnest-Standort, abermals auf einer Erle, aus. So ein registrierter Nestwechsel wird in der Regel immer vom Weibchen eingeleitet. Sie entscheidet letztendlich auch, wo die Brut stattfinden wird.

Nicht nur der Schreiadler zählte zu den Nutznießern einer üppigen Kleinsäuger-Population 2019 - bei den Untersuchungen kam u.a. auch ein LLB (pale m.) als Beifang vor die Linse. Dieser Adlerbussard befand sich noch im 2. Kalenderjahr und hielt sich stationär im Altkreis Demmin mindestens über eine Woche auf, 29.08.2019.
Eine wesentliche Grundlage für die kontinuierlich laufenden Untersuchungen zur Verhaltensbiologie des Schreiadlers besteht in einem regelmäßig und zeitintensiv überarbeiteten Fotoarchiv relevanter Brutadler, um beispielsweise individuelle Aussagen zur Mauser, Altersbestimmung und Reviertreue abzuleiten.
Das Foto zeigt den direkten Vergleich zweier kräftiger Brutweibchen innerhalb der Kontrollfläche. Das rechte Weibchen besitzt in der Summe aller zu berücksichtigen Merkmale einen kennzeichnenden Hybrideinfluss vom Schelladler (Clanga clanga). Im Kontrollgebiet brüten im Augenblick drei solcher mit Schelladler-Einfluss behafteten Weibchen.

Separat abgebildetes Weibchen mit Hybrid-Einfluss über dem Brutrevier im Landkreis Rostock, 26.08.19.

Solche trügerischen Situationen täuschen für einen Außenstehenden nicht selten ein synchron anmutendes Paar über dem Brutplatz vor. Rechts abgebildet das Brut-Männchen mit einer Feldmaus kurz vor der Beuteübergabe an den flüggen Jungadler, links hingegen ein fremdes Weibchen vom nur 2 km entfernt liegenden Revierplatz. Landkreis Vorpommern-Greifswald, 23.08.19.

Auf diesem Bild wird es noch etwas komplizierter. Beide Altvögel kreisen, "stehen" und zeigen Girlandenflüge einhellig über 15 Minuten und unmittelbar über einem besetzten Brutplatz. Es handelt sich dennoch nicht um die zusammengehörigen Partner. Rechts oberhalb steht das Brut-Männchen "Gerd" eines 4,5 km entfernten Brutplatzes. Links befindet sich das Brut-Weibchen "Walli" des hier ansässigen Paares! Hier greift u.a. auch das oben erwähnte Foto-Archiv - nur wenn die Adler individuell akkurat studiert werden - dies ohne einen Kennring als Hilfsmittel - sind solche hochinteressanten Aussagen zum interaktiven Verhalten überhaupt möglich. Landkreis Rostock, 05.09.19.
Da mithilfe mehrerer "LSE-Probanden" ein angemessener Vergleich bestand, brachte diese Wühlmaus-Gradation speziell dafür verantwortliche Verhaltensdetails ans Tageslicht. 
Als absolutes Novum zählte die signifikante Rufinaktivität der Brutweibchen und Jungvögel an den Brutplätzen 2019. Verantwortlich dafür: das fast schon unermessliche Nahrungsangebot. Eine trügerische Stille an den Nistplätzen brütender LSE-Paare war für dieses Jahr deshalb symptomatisch. Das Problem: im Normalfall reagieren Weibchen oder Jungadler auf einen Lockruf, bzw. sie verraten sich ohne diese Hilfestellung durch ihre  selbstständigen Bettellaute. Hier beispielsweise das Weibchen, wenn das Männchen länger ohne Beute auf sich warten lässt - oder der schon größere Jungvogel, wenn er sehnsüchtig auf die Beuteübergabe/ Fütterung der Elterntiere wartet. Aber all diese Merkmale blieben bei 95% der 30 näher untersuchten Paare 2019 vollständig aus! Besonders kompliziert gestalteten sich daraufhin bereits andeutende Um- oder Neuansiedlungen. Jene sind in der fortgeschritten Belaubungsphase ausschließlich mit dem sogenannten Standort-Anzeige-Ruf zu knacken. Wenn dieser jedoch ausbleibt, dann besitzt man kaum noch eine Chance für einen zeitnahen Fund. Nur mit dem zentralen Fund eines Nestes sind umfassende und rechtlich greifende Schutzmaßnahmen im 300 m Radius realisierbar.

Parallel dient eine umsichtige Nest-Kontrolle dem gezielten Kennring-Check. Hier trägt vom ansässigen Paar das Brutweibchen einen spezifischen Kennring. Sie wurde 2012 und in einer Entfernung von 21 km zum jetzigen Brutplatz geboren und nestjung im Landkreis Rostock beringt. Landkreis Vorpommern-Rügen, 28.07.19.

Dieser schokofarbene Yogi-Bär sitzt völlig entspannt keine 15 Meter vom Waldläufer entfernt.... durch Lockrufe näherte er sich neugierig und spekulierend auf eine Beuteübergabe...., dann bemerkte er jedoch den faulen Zauber... Dennoch fühlte er sich sicher, verweilte unbeirrt am Standort, um mit dem Waldläufer etwas zu plauschen... vielleicht mit einer Portion von Telepathie...Landkreis Rostock, 12.09.19.









Die obigen neun Fotos spiegeln eindrucksvoll das Treiben einer erfolgreichen 2er-Brut am Nest des Schreiadlers wider. Landkreis Vorpommern-Rügen, 24.-30.08.19.